Ich und der Partyotismus.

Sicherlich ist dem ein oder anderen aufgefallen, dass sich mit zunehmendem Alter einige Ansatzpunkte kristallisieren. Ich würde mich freuen, wenn sich jemand auf den Gedanken einlässt.

Ich erlaube mir die Gepflogenheiten zu hinterfragen und dabei erschließt sich mir nicht, warum ich als Nörgler und Miesmacher gelte, wenn ich mich in der Zeit vor, während und nach den Gedanken mit (Parttime)Patriotismus nicht arrangiere, oder damit einfach nichts anfangen kann. Ich sehe es aus einer anderen Persoektive. Nicht aus dem Elfenbeinturm, viel mehr als Alien. Deshalb stellt sich mir die Frage: Wieso kann ein in einem xbeliebigen Land lebender Mensch nicht einfach Fan oder Nichtfan einer Gruppierung sein?
Es ist nicht meine Intension als Verderber Schrecken zu verbreiten. Viel mehr suche ich nach Antworten und qualifizierten Kriterien, um meine eigene Meinung ernsthaft zu bewerten.

Ich hol mal kurz aus.
Vor nicht zu langer Zeit, entschieden sich meine Eltern ihren Wohnsitz in dieses Land zu verlagen. Somit war der Wechsel von Polen nach Deutschland perfekt. Nachdem dies geschah pendelte ich in der Jugend immer wieder zwischen zwei Nationen und Traditionen (bewusst nicht Kulturen, weils nicht stimmt).
Als ob dies nicht genug wäre, fuhren wir regelmäßig zu meinen Großeltern, die in den Niederlanden lebten.
In den ersten Jahren lebten wir zusammengerottet in so nem Auffanglager, ich war Freiwild, man schmiss mit Steinen auf mich; außerhalb nicht, weil ich zufällig nicht wie ein „typischer Ausländer“ aussehe. Mein unbändiger Wille Menschen kennen zu lernen war stärker, als die Enttäuschung und Traurigkeit über die mir unerklärbaren Umstände. Mein erstes Wort auf deutsch war übrigens „Scheiße“.
Als Kind kannte ich keine Unterschiede, bis auf die Tatsache, dass die Menschen anders reden und sich mit Klischees veralberten oder gar beschimpften.
Auf den langen Reisen hatte ich damals die Möglichkeit lange aus dem Fenster zu gucken und aus meinen infantilen Gedanken ein Konstrukt zu bilden, welches nach und nach Gestalt annahm. Nationalitäten waren mir damals egal.
Heute ist dieses Konstrukt vor meinem geistigen Auge schleierhaft, denn immer wenn ich den Ansatz fand, dass es zwischen den Völkern viele Brücken gibt, kam einer daher und pisste mir ordentlich ins Regal. Entweder war ich der Dieb, der Nazi, oder der Käsekopf. Ich erkannt damals nicht den wirklichen Unterschied zwischen den nebeneinanderliegenden Nationen und bin mir sicher, dass es sich von Landesgrenze, zu Landesgrenze, zu Landesgrenze…. nicht anders verhält. Diese Verunglimpfungen treffen mich trotzdem hart und verschwinden insofern, als das immer ein kleiner nerviger Fleck auf der weißen Weste bleiben wird. Diese Leute markierten immer den Dicken Max, und brüsteten sich permanent mit Sachen, die sie selbst nie im Stande wären selbst zu vollbringen. Sie bedienen nicht mal die Tugenden, die man ihnen nachspricht. Meiner langjährigen Beobachtung nach schreien paradoxer Weise die am stärksten für „Deutschland“, die sich am meisten von Deutschland „verarscht“ fühlen. Stolz auf den Peiniger? Pass als Stärke? Leistung eines Teams als Ersatz zur Eigenleistung?
Ist der willkürliche Zufall des Geburtsortes automatisch eine Wertsteigerung?
Mir erschließt sich nicht, warum man stolz darauf ist, dass man rein zufällig in einem bestimmten Land geboren wurde oder rein zufällig Eltern hat, die aus einem bestimmten Land stammen und wie man sich mit fremden Lorbeeren schmücken kann, ohne das jemand einem selbst die Lorbeeren verliehen hat. Und ist es legitim diese Lorbeeren gegen andere zu verwenden, weil die Teilnehmer der Sportveranstaltung in einem speziellen Gebiet wohnen?

Man kann auf sehr viele Dinge stolz sein, wenn man z.B. ein wichtiges Lied komponiert, ein tolles Kind erzogen, oder einen ultrakrassen Rülpser von sich gegeben hat; also verstehe auch einige Gründe, aber über absolut und wirklich nichts hat man weniger Kontrolle als über Zeit und Ort seiner eigenen Geburt den Zustand seiner Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe. Warum genau soll ich darauf stolz sein? Man hat damit nichts geleistet, die Welt nicht zu einem besseren Ort gemacht, man hat damit eigentlich nix zu tun – ist man mit Eintritt ins Leben automatisch stolz? Verhält es sich nicht wie mit der guten alten Ehre und dem Satz “ Ehre kann man nicht verlieren, sondern nur gewinnen? Wie darf ich einen Stolz verstehen, damit ich auf dem gleichen Level stolz bin? Als ich Teenager war habe ich immer eine Identität gesucht. Es fiel mir oftmals schwer gefühlt keine wirkliche Landeszugehörigkeit zu besitzen. Es fiel mir schwer mich als Europäer zu fühlen. Ich habe mich selbst missverstanden und machte bei jeder landesbezogenen Aktivität mit. War sogar sehr groß, wenn ich ganz lautstark am Rande der Legalität die Gegner verunglimpfte (es tut mir bis heute wirklich leid). Am besten gelang mir der Durchbruch, als ich meine Herkunft leugnete. dann gab es auch ein Schulterrklopfen. Daran werde ich am meisten erinnert, wenn Menschen dem internationalen Augenvergleich aufs neue fröhnen.
Heute nachdem ich mich erinnere und reflektiere, werde ich tatsächlich missverstanden und von meinem Freundeskreis (der mich am besten verstehen müsste) schlichtweg aus solchen gemeinsamen Aktivitäten ausgeschlossen.
Mit der Begründung ich sei linksextrem/radikal, gehe zu weit, verderbe Spaß und treibe es einfach viel zu weit. Gutmensch und Weltverbesserer fehlen auch nicht.
Wenn das das ist was man sich traut mir zu sagen, will ich nicht wissen, was in meiner Abwesenheit gemunkelt wird.
*

Und wenn sie dem Anlass fröhnen, wird Allerhand in einen Topf geworfen.
Ist es richtig, wenn die DFB Auswahl einen Sieg erzielt, dass man sagt „ich bin stolz deutsch zu sein?“
Nicht anders verhält es sich im Übrigen in anderen Ländern. Aber ist der Satz legitim, wenn man ansonsten generell an dem Konstrukt zweifelt? Steuern, Belastungen, Missmut, blöde Politik und und und, obwohl es dem Land MEn gut geht und es als Leuchtturm und Flaggschiff ganz weit vorne, was Entwicklung angeht, steht.
Aber in wiefern steht die Leistung von 23 bzw 11 Menschen für eine ganze Nation?
Wie sehr kann ich eine Gruppe hervorheben, wenn einzelne Protagonisten wiederum verabscheut werden? Waren es nicht die bösen Söldner, die asozialen Hymnenverweigerer, die gierigen Ausländer, schlimmen Moslems, die kriminellen Bayern…, die den Titel holten?
Sind sie nicht Spieler des DFBs (aka Fußballmafia) und wieso hissen Menschen die Bundesfahne, die aus der Schwärze (schwarz) der Knechtschaft durch blutige (rot) Schlachten ans goldene (gold) Licht der Freiheit, statt der des Deutschen Fußballbundes, der nichts mit der eigentlichen Reise durch die Ära des Landes zu tun hat?

Ist es Identitätswahn, oder nur die pragmatische Vereinfachung des erweiterten Gedanken, weil der DFB doch relativ blöd ist, man sich aber anderen Völkern gegenüber irgendwie darstellen muss?

Heute habe ich auf WDR2 gehört, dass mit dem erreichen des Weltpokals die Deutschen endlich international zeigen können, welch gewichtige WeltwirtschaftsmachtSie bilden. Was ist denn das bitte für eine unsäglich dumme Aussge?
Auf 1live feiern die Moderatoren halb-/voll-/absoluttrunkene Personen, die unsinnige Sätze formulieren und permanent von „wir“ sprechen. Sehen so Sieger aus?
Zu jedem anlass schallt es gebetsmühlenartig „Wir sind Papst, Kanzlerin, Weltmeister“ aus dem RadioTelevisionLuxemburgschen Kanal.
Hält man die Weltbevölkerung für so dämlich?
Ich meine doch behaupten zu dürfen, dass ich mit vielen cleveren Leuten in der Schule war und das kann doch nicht ne Ausnahme gewesen sein.

Wettere ich wirklich? Wenn ja, gegen Leute, die gedankenlos “Schlaaaand!” rufen oder doch über jene, die eine Mannschaft feiern, mit deren Mitgliedern sie nicht viel mehr verbindet als die selbe Staatsbürgerschaft? Oder haben sich die Bewohner dieses Vielvölkerstaates tatsächlich mit der Entwicklung der letzten 30 Jahre abgefunden und erfreuen sich dieser großartigen, nahezu einzigartigen Vielfalt?
Und wenn ich mich irre und meine Gedanken falsch sind, wer darf dann wirklich stolz sein? Nur native Deutsche? Wer erlaubt/verbietet, dass frisch gestrandete Boatpeople, die Eskimos, oder ein 100 Jahre alter Peruaner stolz auf die Leistung des Teams sein dürfen/können? Sicherlich werden viele abwinken und sagen „was willst du? Natürlich alle“
Ich erwähne es, weil meine Zuneigung zu deutschen Sachen immer unter der Bedingung stand, diverse mir angeblich in die Wiege gelegten, Eigenschaften abzulegen.» ..aber nicht klauen, ja? (Wirklich? Ist das falsch?) / Äh, sie kommen aus Polen, sie kennen doch den.. (Nein kenn ich nicht.) / Aber du sprichst ja akzentfrei. (Wieso nicht?) / Ihr klaut uns die Arbeitsplätze (Dann ist dein Lebenslauf scheiße) / Die Polen saufen ganz schön viel, dann verträgst du locker ne ganze Pulle Schnaps zum Frühstück. (Meinen sie mich?) Deutschland anfeuern? Du? Du kommst doch aus (Halt den Mund, ich unterstütze wen ich will) «

Geht Nationalstolz nicht mit “Fremdgruppenabwertung” Hand in Hand?
„Klar, das ist doch total harmlos“ werden jetzt einige sagen. „Nun ja, wenn man eine Gekränktheit selber nicht erfahren hat, kann man es auch nicht nachvollziehen“ werde ich antworten. **

Fremdgruppenabwertung ist eine böswillige, kränkende Aberkennung offensichtlicher humanistischer Tatsachen.
Fremdgruppenabwertung ist martialisches „sieg“ rufen, denn jeder weiß, welche Gefühle es hervorbring und welche Motivation dahinter steht.
Fremdgruppenabwertung ist Nazifizierung durch Dritte, aber auch eine Bestätigung dieser Dummheit zum vermeintlichen Egoaufbau.
Fremdgruppenabwertung ist das Abfeiern der deutschen Fußballnationalmannschaft, in voller „Partyoten“-Kluft, fahneschwenkend, auf dem Holocaustmahnmal in Berlin.
(Wieso empört sich keiner?)
Stattdessen abwinken.. Linksextremer Miesmachergutmenschmoraöapostelei…

Ich frage mich, wie es wäre wenn „wir“ in der Vorrunde ausgeschieden wären?
Hieße es auch „wir“? Was hätte das Gewinnerteam sich anhören müssen?
Ich bin froh, dass ein Mertesacker Tacheles geredet hat, dass ein Schweinsteiger schwieg und Neuer irgendwo am Rande den möglichen Titel allen Supportwilligen irgendwie gewidmet hat, sonst hätten die üblichen Verdächtigen den Titel sich selbst zugeschrieben. Genau wie der eigentlich schöne Titel »Weltmeister der Herzen«, den sich die Deutschen selbst gegeben haben. Leute, so einen Titel bekommt man von anderen verliehen aber man verleiht ihn sich unter Garantie niemals selbst. Das ist schlimmer und unpassender als sich nach dem Scheißen selbst auf die Schulter zu klopfen. Und „Zu Gast bei Freunden“ war mit „Deutschland schafft sich ab“ schneller in der Versenkung verschwunden, als es einem Lieb war.
Stigmatisierungen und Eigenlob sind definiv keine positiven Eigenschaften.
Und „wir“ sind schon mal keine Weltmeister, sondern „unsere“ Fußballmationalmannschaft. Wir ist so plump, so sinnlos wie die These, dass mein Nachbar furzt und ich behaupte, wir hätten gedrückt.
Als zwischen den Nationen hängender, außenstehender Beobachter sage ich, dass das Mist ist. Bei einer WM geht es um Völkerverständigung und nicht um Wir,wir,wir.
Und dass sich heute noch Menschen Mit Reichkriegsfahnen brüsten, sich gegen Andersdenkende kloppen, Moral ein Greul ist, ist eine der Ekelhaftesten Relikte vergangener Tage.
Komischerweise verstehen mich nur meine Leidensgenossen und Menschen , die mit Migranten zu tun haben. Alle anderen verwehren mir das Recht zu grübeln.

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Meine abschließende These lautet: Nationalismus oder der weniger schlimme Patriotismus oder immer von Wir reden, ist für mich ein anerzogenes, nicht natürliches Verhalten; genau wie Fahrradfahren oder die Erträglichkeitsgrenze von Alkohol.

Beste Grüße Sebbo
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*Weil ich wirklich kein Verständnis dafür habe, entwickelte ich eine Art Lokalpatriotismus, oder wie ich es nenne „gelebte gesellschaftliche Wiedergutmachung einer ausstehenden Zugehörigkeit“ denn ich liebe den Gedanken eine kommunale Idee zu unterstützen viel, viel mehr, als ein Terretorialgebiet zu unterstützen in dem man sich ausweisen muss. Hier kann jeder überregional der Familie beitreten, ohne hinterfragt zu werden.

**Und da zähle ich den gemeinen Schlesier nicht hinzu, denn an ihm prallen alle Beschuldigungen ab, denn in seiner Gestalt weist er jegliches Zugehörigkeitsgefühl zu Polen ab und schämt sich doppelt so sehr dafür, dass seine Region zufällig auf Polnischem Boden liegt, als er sich stolz fühlt sich nicht zu jenen zu zählen.

***Ich möchte abschließend nochmal und unmissverständlich anmerken, dass ich keine Probleme mit Fußball habe (ganz im Gegenteil), dass ich die Leistung des DFB Teams absolut anerkenne, mich über den Erfolg freue und jedem den Spaß gönne. Und trotzdem nehm ich mir das Recht raus kein Anhänger des DFB und seiner 11 zu sein. .. auch wenns n krasser Kick war.

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